Blogbeitrag: AR – Mehr als eine Technologie

In Vorbereitung zu einem neuen Projekt unter Verwendung von „erweiterter Realität“ bin ich über einen absolut lesenswerten Artikel im Harvard Business Manager vom Februar dieses Jahres gestolpert. Die Autoren Michael E. Porter und James E. Heppelmann beschreiben in ihrem Beitrag erweiterte Realität als neue Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, die eine Brücke zwischen der digitalen und der physischen Welt schlagen wird. So heißt es u.a.: „Erweiterte Realität wird Unternehmen aller Branchen und viele andere Organisationen erreichen, von Universitäten bis hin zu Sozialunternehmen. Sie wird […] die Art und Weise, wie wir lernen, Entscheidungen treffen und mit unserer physischen Umwelt interagieren, von Grund auf verändern. Und sie wird verändern, wie Unternehmen ihre Kunden bedienen, Mitarbeiter schulen, Produkte konzipieren und produzieren, ihre Wertschöpfungsketten managen und letztlich auch ihre Wettbewerbsposition definieren.“ Wer sich mit dem Thema, aus welchen Grund auch immer beschäftigt, dem sei der Artikel wärmstens ans Herz gelegt. Die fälligen 6 Euro für den Download sind auf jeden Fall gut angelegt. Tiefgreifende Erkenntnisse sind garantiert.

Nachdem Visualisierungstechnologien wie 3D, Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) in den letzten Jahren wieder in den Fokus gerückt sind, ist eine Bestandsaufnahme sicher angebracht. Die Frage nach dem „Wo stehen wir?“ lässt sich allerdings nicht abschließend beantworten. Fakt ist: Das Warten auf den Durchbruch von VR hat offensichtlich ein Ende. Sowohl die Anzahl der abgesetzten Geräte als auch der kommerzielle Erfolg von Unterhaltungsprodukten in VR hinken den Prognosen deutlich hinter her. VR ist auch heute noch kein Massenmedium, und die Erwartungen hierzu haben sich in den letzten Monaten deutlich eingetrübt. Gleiches gilt für 3D zu Hause und im Kino. Beide Technologien haben den Medienkanon ergänzt, aber keinesfalls grundlegend neu geordnet. Auch unter Verwendung von neuen Technologien bleiben 3D und VR Nischenerscheinungen. Wenig spricht dafür, dass sich dies mittel- bis langfristig ändert.

Offen ist die Frage nach dem weiteren Erfolg von Augmented Reality. Experten und Marktforscher sagen der bisher verkannten „kleinen Schwester“ der VR einen beträchtlichen Aufschwung voraus. Googles Tech-Chef Ray Kurzweil glaubt sogar: “Wir werden uns daran gewöhnen, durchgängig in Augmented Reality zu sein”. Hampleton Partners erwarten für 2022 ein weltweites Marktvolumen von 161 Milliarden Dollar für AR. Das bedeutet eine durchschnittliche Wachstumsrate (CAGR) von 85,4 Prozent. Ein weiterer Beleg ist der Bericht des Venture Reality Funds. Er stellt fest, dass im weltweiten Maßstab die Zahl der AR-Unternehmen in den letzten sechs Monaten um enorme 50 Prozent gestiegen ist.

Die nackten Zahlen der Analysten bestätigen: die hochgelobte virtuelle Realität kann damit nicht mithalten, hier sind „nur“ ein Markvolumen von 17, 8 Milliarden Dollar und eine CAGR von 44,5 Prozent avisiert.

Auch in der deutschen Industrie ist das Thema AR im Kommen. In einer Studie des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) bescheinigen 49 Prozent der Befragten Augmented Reality größeres Potenzial für ihren Betrieb als VR. Jedes dritte Unternehmen gibt darüber hinaus an, derartige Anwendungen künftig verwenden zu wollen.

In einem sind sich Experten und Untersuchungen einig. Das prognostizierte Wachstum entsteht fast ausschließlich durch den Einsatz von AR in Industrie und B2B. Die einschlägigen Veröffentlichungen berichten von Anwendungen in Maschinebau, Architektur, Bauwesen, Handel, Medizin. AR kommt in Entwicklung, Fertigung, Logistik, Marketing & Vertrieb zum Einsatz.

Nicht zu vergessen der komplette Bildungsbereich. Industrie 4.0 heißt digitalisierte, vernetzte Produktion und fordert neue Kompetenzen bei den Mitarbeitern. Stichworte sind hier lebenslanges Lernen, Lernen „on-the-job“ oder „on-demand“. AR eignet sich ganz besonders für diese industriellen Lernumgebungen.

Die Automobilindustrie kann man in diesem Zusammenhang durchaus als Vorreiter bezeichnen. Zunehmend kommen hier AR-Anwendungen nicht nur in Planung oder Produktion zum Einsatz, sondern auch auf den Feldern Aus- und Weiterbildung sowie Schulungen. Was Sinn macht, denn Augmented Reality-Technologien ermöglichen eine schnelle Informationsaufnahme und können verborgene Informationen und Datenströme sichtbar machen.

 

Mit Wegesrand und unserer Beteiligung IJsfontein können wir diese Entwicklung tagtäglich nachvollziehen. Für Mercedes-Benz haben wir bei der Markteinführung der neuen A-Klasse nicht nur über 10.000 Teilnehmer aus der Vertriebs- und Partnerorganisation via Mixed Reality-Lösungen auf ihre Systeme und Technologien trainiert. Das Projekt ist aktuell auf Welttournee durch die gesamte Vertriebsorganisation, Ergebnisse und Resonanz sind herausragend. Augmented Education sorgt hier für eine immersive und dadurch tiefer gehende Lehr- und Lern-Erfahrung. Auf diese Weise wachsen Industrie 4.0 und Bildung 4.0 zusammen.

Auch aus Sicht der eingangs erwähnten Porter und Heppelmann ist Anleitung, Schulung, Coaching einer der Kernfunktionsbereiche, in denen AR Mehrwert schaffen kann. Die Autoren stellen in ihrer Abhandlung neben den technologischen Aspekten weitere zentrale Fragen in den Blickpunkt: Wie wird das Thema in die Unternehmensstrategie eingebunden, wo kommen das Know-how und die Fachkräfte her, wie werden die Inhalte produziert…?

Fragen, denen wir uns als Expertennetzwerk tagtäglich stellen, und die die Art und Weise, wie wir arbeiten, maßgeblich beeinflussen.

Gemeinsam mit Walter Bauch von Mercedes-Benz Global Training werde ich über unser A-Klasse-Projekt bei Daimler im Rahmen der StartupCon in der Kölner Lanxess arena berichten und außerdem die aktuelle Entwicklung des AR/VR-Marktes skizzieren Vielleicht sehen wir uns ja dort.

(Foto: Eugene Capon, Pexels)