E-Sports boomt. Die asiatische Erfolgswelle rollt nun auch über Europa hinweg. Die Zahlen in den Prognosen schwanken, in einem sind sich aber alle Experten einig: der „digitale Sport“ ist auch hierzulande auf dem besten Weg zum Milliarden-Markt. Wissenschaftler erkennen plötzlich die vielfachen Vorzüge, Olympiaträume reifen, ein solventer Fußballklub nach dem anderen stellt eigene Teams auf. Auch in der Politik findet sich eine Vielzahl an Befürwortern. Die Branche nutzt den öffentlichen Rückenwind, ihre Rufe nach Anerkennung als Sportart und finanzieller Unterstützung offensiver zu platzieren. Dass der institutionelle und öffentliche Widerstand in Sachen Akzeptanz schwindet, zeigt unter anderem die neuerliche Verlautbarung des Deutschen Fußballbundes, auch wenn hier die Einengung auf digitales Kicken abzielt. Die Euphorie, beim großen Geschäft dabei sein zu wollen, scheint der Sache jedoch nicht unbedingt zuträglich zu sein.
Zeit also für eine genauere Betrachtung der neuen Boom-Branche. Ich empfehle allen, auf dem Wege inne zu halten und nachzudenken. Vielleicht beginnt das Missverständnis schon bei der Bezeichnung. Anzuerkennender „Sport“ im engeren Sinne hat eben auch einen öffentlichen Auftrag, und dieser Auftrag begründet die Anerkennung und Förderung. Sport im herkömmlichen Sinne beinhaltet körperliche (und geistige) Ertüchtigung. E-Sports wird durch Anerkennung als Sportart sozusagen zur nationalen Aufgabe, die notwendigerweise die Unterstützung der Gesellschaft von Nöten hat und durch ihre Ausübung auch einen Beitrag für die Gesellschaft leistet.
Blendet man alle lobbyistischen Überhöhungen aus, wird aber eines schnell deutlich: e-Sports ist sicherlich zeitgemäßes Entertainment in der digitalen Ära, es ist aber vor allem ein effizientes Marketingtool von einigen wenigen, etablierten Playern in der Gamesbranche. „eSports“ als solcher ist ein Gattungsbegriff, keine Sportart. Bei „e-Sports“ handelt es sich um die Nutzung von erwerbsmäßig angebotenen, urheberrechtlich geschützten Spielen. Der Ruf nach öffentlicher Anerkennung und Unterstützung im Sportumfeld erscheint daher zweifelhaft, würden doch auf diesem Wege bereits erfolgreich Produkte im Eigentum von Unternehmen indirekt subventioniert werden. Hierfür Öffentlichkeit, Politik und Sportverbände einzuspannen, halte ich nicht für seriös.
Schon heute ist der Gamesmarkt stark oligopolistisch geprägt: immer weniger Unternehmen und Spiele nehmen einen immer größer werdenden Marktanteil ein. Die Förderung dieser großen Produkte führt schlussendlich zur Etablierung als Gattungen, ähnlich wie im Sport. Schon heute ist EA mit der FIFA-Reihe klarer Marktführer. Um Sportarten zu etablieren, braucht es einheitliche Regelungen. E-Sports zahlt auf die Etablierung von einigen wenigen ein und sorgt damit zur medialen Verarmung und zur Reduzierung von kultureller Vielfalt. In keinem Fall leistet eine solche Anerkennung einen Beitrag im Sinne einer anzustrebenden Chancengleichheit Deutschlands durch die Förderung von Games.
Gamesförderung braucht Verantwortung und Augenmaß. Auch die Gefahren einer intensiven Nutzung von Computer- und Videospielen sind im Blick zu behalten. Eine gemeinnützige Förderung von e-Sports im Sinne einer Anerkennung als Sportart ist daher kontraproduktiv. Sie schafft eine Legitimation des digitalen Spiels als gleichberechtigte Freizeitgestaltung im Verhältnis zu anderen Betätigungen. Heute haben die Sportvereine ohnehin zunehmend Probleme, junge Menschen zu gewinnen, die auch sprichwörtlich am Ball bleiben. E-Sports mit echtem Sport gleichzusetzen, sendet ein falsches Signal. Ein Breitensportverband kann und sollte sich nicht an einer entsprechenden Entwicklung beteiligen.
Ich möchte hier nicht missverstanden werden: e-Sports ist eine großartige Freizeitbeschäftigung und wird seinen Siegeszug fortsetzen, ob als Sport anerkannt oder nicht. Es bedarf aber explizit keiner zusätzlichen, unverhältnismäßigen, öffentlichen Anerkennung als Sport. Vereine, die sich gründen, um digitale Spielkultur zu fördern, sollten selbstredend gefördert werden, wie andere kulturelle Organisationen auch. Nur die Gleichstellung als Sport ist etwas ganz anderes.
Im Übrigen, frische Luft ist auch keine schlechte Sache. Wer erinnert sich nicht – früher wurden Kinder immer ermahnt, beim Draußenspielen die Klamotten nicht so dreckig zu machen. Das würden heutzutage viele Eltern gern in Kauf nehmen.
Von Thorsten Unger